Bist du auch eine Hochstaplerin?
Ich persönlich kenne eine ganze Reihe von Frauen, die in der Sorge leben, in ihrem beruflichen Umfeld irgendwann „aufzufliegen“ – dass eines Tages jemand den Vorhang lüftet und ihre vermeintliche Unfähigkeit entlarvt.
Dieses Gefühl, dass der eigene Erfolg nicht auf den eigenen Fähigkeiten beruht, sondern nur auf Glück, ist typisch für das Imposter-Syndrom, oder auch Hochstapler-Syndrom. Man lebt in ständiger Angst, dass andere merken könnten, dass man gar nicht so klug ist, wie sie denken. Trotz offensichtlicher Erfolge denkt man, alles sei nur Zufall. Die Angst, als Betrüger entlarvt zu werden, ist allgegenwärtig.
Das Syndrom wurde 1978 von Pauline R. Clance und Suzanne Imes an der Georgia State University in Bezug auf erfolgreiche Frauen beschrieben, die ihre Erfolge immer kleinredeten.
Das Imposter-Syndrom hat viele Gesichter, und die meisten sind mir schon begegnet oder ich kenne sie selbst.
Die vielen Gesichter des Imposter-Syndroms
Übermäßige Selbstkritik
Wir neigen dazu, unsere eigenen Leistungen herunterzuspielen und unsere Fehler zu betonen. Oft denken wir, dass unsere Erfolge nur auf Glück oder Zufall zurückzuführen sind, anstatt auf unsere Fähigkeiten und Anstrengungen.
„Ach, das kann im Grunde jeder“ und „ist doch nichts Besonderes“ gehören in der Musicbox der Selbstzweiflerinnen neben „Das war nur Glück“ zu den meistgespielten Hits.
Angst vor Entdeckung
Es ist fast schon ein Running Gag unter Freundinnen und Kolleginnen: Diese ständige Furcht, jemand könnte merken, dass wir eigentlich nur so tun, als ob wir wüssten, was wir tun. Die ständige Angst, dass andere die eigene Unfähigkeit oder Unwissenheit erkennen und man als Betrügerin entlarvt wird. „Wenn die wüssten, wie wenig ich eigentlich weiß…“ – das habe ich weit mehr als einmal gehört.
Perfektionismus
Der Perfektionismus ist ein gut getarnter Gefährte des Imposter-Syndroms. Denn Perfektion ist eine gesellschaftlich anerkannte Tugend und doch eigentlich erstrebenswert. Oder wie? Die Perfektion verhindert aber praktischerweise auch, dass Dinge fertiggestellt werden – und von anderen beurteilt werden können. Da wird stundenlang an einem Text gefeilt, eine Grafik wieder und wieder überarbeitet, Details verändert und Ideen werden zerdacht. Noch ein Kurs, noch ein Coaching und eine Weiterbildung obendrauf – in der Hoffnung, dass sich das Gefühl, endlich alles perfekt zu machen, irgendwann einstellt. Nur um dann festzustellen, dass doch noch etwas fehlt zur Perfektion.
Ironischerweise ist genau dieser Blogartikel ein Opfer dieses Perfektionismus: Ich hatte ihn ewig in meinen Entwürfen schlummern, aber er war mir nie gut genug, um veröffentlicht zu werden. Ist die Angst vor der Veröffentlichung echt? Ja. Sollte sie mich davon abhalten, es trotzdem zu tun? Nein! Und deshalb hat er jetzt endlich das Licht der Welt erblickt.
Selbstzweifel
Selbstzweifel sind ein ständiger Begleiter vieler „Hochstapler“. Und werden durch eine chronische „Vergleicheritis“ ständig genährt. Denn die anderen machen es eh viel besser. Diese Zweifel lähmen, und statt uns auf unsere Stärken zu konzentrieren, verlieren wir uns in einem ständigen Vergleich mit anderen.
Gerade kürzlich habe ich mit einer Freundin gesprochen, die in ihrem Job unglücklich ist, aber sich nicht traut, zu kündigen – aus Angst, keinen neuen Job zu finden. Mir würden auf Anhieb fünf Unternehmen einfallen, die sie mit Kusshand nehmen würden. Sie selbst meint aber: „Was kann ich denn schon? Ich habe ja nichts zu bieten“ (…außer drei Sprachen fließend, 20 Jahre Berufserfahrung, Auslandserfahrung, Fortbildungen… ). Ich war fassungslos und richtig wütend, als ich das gehört habe. Bei anderen springt uns diese verzerrte Selbstwahrnehmung förmlich ins Gesicht – und bei uns selbst hat der blinde Fleck die Ausmaße einer Kleinstadt.
Bin ich so in meiner Online-Bubble gefangen, dass ich nur von Frauen höre, die sich selbst blockieren, sich klein machen und mit viel zu wenig zufriedengeben? Oder sprechen Männer einfach weniger darüber?
Das sagt die Forschung zum Imposter-Syndrom
- Die Studie „The Impostor Phenomenon Among High Achieving Women: Dynamics and Therapeutic Intervention“ von Clance und Imes, veröffentlicht in der Zeitschrift „Psychotherapy: Theory, Research & Practice“ im Jahr 1978, zeigte, dass Frauen mit höherer Bildung häufiger unter dem Impostersyndrom leiden als Männer.
- Eine weitere Studie aus dem Jahr 2011 mit dem Titel „Perceived Fraudulence in Young Adult Women and Men: Impostor Phenomenon and Big Five Personality Factors“ von Vergauwe et al., veröffentlicht in der Zeitschrift „Personality and Individual Differences“, ergab, dass Frauen ein höheres Risiko haben, vom Impostersyndrom betroffen zu sein als Männer.
- Eine 2020 veröffentlichte Studie von Sams und Truelove mit dem Titel „Gender Differences in the Impostor Phenomenon: A Meta-Analysis“ untersuchte mehrere Studien zum Impostersyndrom und kam zu einem ähnlichen Ergebnis.
Es gibt also tatsächlich Hinweise darauf, dass Frauen häufiger als Männer vom Imposter-Syndrom betroffen sind. Aber warum ist das so? Und was können wir dagegen tun?
Warum sind Frauen häufiger vom Imposter-Syndrom betroffen?
Gesellschaftliche Erwartungen und Rollenbilder
Klar, wir leben nicht mehr in den 1950er Jahren und es hat sich viel getan. Aber trotzdem sind die alten Rollenbilder noch nicht ganz verschwunden. Es wird uns oft noch beigebracht, bescheiden zu sein und unsere Erfolge nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Das Gefühl, nicht „zu viel“ zu sein oder nicht „zu sehr“ aufzufallen kenne ich persönlich nur von Frauen.
Mangelnde Vorbilder
In vielen Branchen, insbesondere in Führungspositionen, sind Frauen immer noch unterrepräsentiert. Es werden immer mehr, aber Wandel braucht Zeit: Lange Zeit fehlten uns Vorbilder, die uns zeigen, dass Frauen erfolgreich und selbstbewusst sein können. Wenn wir keine Beispiele sehen, an denen wir uns orientieren können, fällt es uns schwerer, an uns zu glauben.
Geschlechterstereotype
Stereotype wie „Frauen sind emotional“ oder „Frauen sind weniger durchsetzungsfähig“ beeinflussen uns, ob wir wollen oder nicht. Vielleicht auch nur unbewusst, ohne dass wir es merken. Diese Glaubenssätze sind so stark verankert, dass sie unser Selbstbild prägen, wir uns gern unterschätzen und unsere Fähigkeiten infrage stellen.
Was kann man gegen das Imposter-Syndrom tun?
Zuallererst ist es wichtig, das Imposter-Syndrom überhaupt zu erkennen. Denn wie sollen wir etwas verändern, das wir nicht benennen können? Oft schleichen sich diese Selbstzweifel so subtil in unseren Alltag, dass wir sie als normal hinnehmen. Aber sie sind nicht normal – und sie sind vor allem nicht wahr.
Darüber sprechen
Das Imposter-Syndrom überlebt am besten im VIP-Bereich der Isolation. Wenn wir denken, wir wären die einzigen, denen es so geht, hat der uneingeladene Gast leichtes Spiel. Aber sobald wir uns austauschen und merken, dass es anderen auch so geht, ist das im ersten Schritt schonmal eine Erleichterung. Und bei den anderen wissen wir, dass sie sich irren, schließlich sehen wir, wie talentiert und fähig sie wirklich sind – und das könnte ja dann auch für uns gelten…
Erfolge feiern
Eigene Erfolge kleinzureden und zu ignorieren gelingt viel weniger, wenn man sie aufschreibt. Und da kann ein Erfolgsjournal ein super Sparringspartner sein. Das „6 Minuten-Tagebuch“ oder „Dranbleiben“ geben die Struktur schon vor, dass man jeden Tag reflektiert, was gut gelaufen ist, wofür man dankbar ist und welchem anvisierten Ziel man sich langsam nähert. Natürlich tut es auch ein einfaches Notizbuch. Aber mit den vorgegebenen Fragen kann es, glaube ich, gerade am Anfang leichter fallen, sich kleiner Erfolge bewusst zu werden.
Realistische Ziele setzen
Perfektionismus kann unglaublich lähmend sein. Aber man kann versuchen, ihn auszutricksen. Was gut funktioniert:
Zeitlimits setzen: Ein festes Zeitfenster bringt uns automatisch dazu, fokussiert zu arbeiten und uns nicht in Details zu verlieren. Was bis zum Ende der festgelegten Zeit fertig ist, bleibt so. Punkt!
Prioritäten setzen: Pareto! Dieses Prinzip besagt, dass 80 % der Ergebnisse oft durch nur 20 % der Anstrengungen erreicht werden. Anstatt zu versuchen, alles perfekt zu machen, lohnt es sich also, Prioritäten zu setzen und die Aufgaben anzugehen, die den größten Einfluss haben. Und dann ist das selbst gesetzte Zeitlimit erreicht, und 80 % sind erledigt…
Prominente Hochstaplerinnen
Gleichzeitig beruhigend wie deprimierend ist es, dass Erfolg und öffentliche Anerkennung dem Imposter-Syndrom nichts anhaben können. Während die Welt applaudiert, flüstert es einem ins Ohr: „Das war doch nur Glück!“ Viele prominente Frauen haben offen über ihre Zweifel gesprochen. Sie zeigen uns, dass selbst hinter den strahlendsten Lächeln oft Unsicherheiten lauern. Der innere Kritiker macht nie Urlaub und ist immer bereit, die Party zu verderben. Aber: Es zeigt, dass offenbar wohl doch niemand perfekt sein muss, um erfolgreich zu sein.
Die Schauspielerinnen Jodie Foster und Meryl Streep und die Autorin Maya Angelou haben in Interviews ihr Imposter-Syndrom thematisiert.
Fazit
Tja, was ist mein Fazit? Beim Schreiben des Artikels ist mir einmal mehr bewusst geworden, wie sehr das Denken noch in uns verankert ist. Was kann ich also tun?
Ich werde jetzt noch mehr darauf achten, die Frauen in meinem Umfeld zu bestärken und ihnen (sanft) vor Augen zu führen, wie stark ihr Selbstbild von der objektiven Außenbetrachtung abweicht.
Gleichzeitig nehme ich mir regelmäßig Zeit, nach innen zu schauen und eigene Glaubenssätze aufzudecken, um sie anzugehen. Und um ein gutes Vorbild zu sein.
Mit meiner neunjährigen Tochter habe ich kürzlich angefangen, abends im 6-Minuten-Tagebuch zu reflektieren, was gut gelaufen ist, was sie gelernt hat und worauf sie stolz ist. Als sie mir anfangs sagte, dass sie es nicht schafft, auf sich stolz zu sein, wusste ich: Es gibt noch viel zu tun.
Auf geht’s!
Entdeckst du bei dir oder anderen auch Symptome des Imposters? Wie gehst du damit um? Teile gern deine Erfahrungen und lass andere daran teilhaben.
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